Klaus Gallwitz
Katalog "Ortsbeschreibungen", Bad Ems 2006/ 2007

Doppelter Boden

Auf dem Parkett bildeten sich kleine Pfützen. Das Rollen hatte zugenommen und klang näher. Die meisten Gäste saßen inzwischen aufrecht, und mit ihren bei Kerzenbeleuchtung aschfahlen Gesichtern sahen sie aus, als seien sie ohnehin schon längst tot. Ich stand auf und sagte, ‚ich gehe', leise genug, um die Musiker nicht zu verletzen, aber laut genug, um den anderen Gästen zu bedeuten, daß ich mutig genug war, meine Angst einzugestehen. Auf dem Fußboden stand nun ein fast gleichmäßig verteilter Wasserspiegel

Dem Ende einer dekadenten Welt im Wasser, wie es Wolfgang Hildesheimer in seinen ‚Lieblosen Legenden' stattfinden ließ, hat Nicola Schudy einiges entgegenzusetzen. Furchtlos beschäftigt sie sich mit schwarzen Löchern, speziell mit dem sogenannten ‚Schwarzen Loch' selbst. Sie sagt nicht, ‚ich gehe', sondern sie bleibt, vorzugsweise auf dem Boden, den sie sich selber legt, die unumgängliche Grundlage für ihre Untersuchungen zu zweckfreien Räumen. Und dafür verwendet sie das bürgerliche Parkett, einen Fußboden, der Solidität und Sicherheit vermittelt.

Ländliche Fußballplätze waren ein Ausgangspunkt für ihre Arbeit, das leere Feld in der Landschaft. Die ‚Verschluckte Landschaft' erwies sich in der Jurastadt Besancon als eine sich selbst verzehrende Skulptur. Ein ‚Instant Room (am Ereignishorizont)' wurde im April 2006 in der Galerie der Stadt Remscheid eingerichtet. Dazu gehörte auch Wandmalerei mit einer anschaulichen Darstellung des schwarzen Lochs und der Beischrift ‚vielleicht wirkt die Einsamkeit wie ein Magnet'. Noch auf den neuen Aquarellen ist eine sperrige Qualität zu spüren, ob es sich nun um Straßenleitplanken, Balkonbrüstungen, Tunnelschlünde oder eine Gebirgshütte mit ihrem eingebrochenen Dach handelt - eine Welt der Stelzen und Barrikaden, der Abwehr und Isolierung.

Schließlich für Balmoral eine jüngste Ortsbeschreibung, ausgeführt als begehbare Rauminstallation im eigenen Atelier, eine Art Selbstversuch zum Thema Parkett. Die Tür steht ein wenig offen. Mittels einer Stufe erklimmt man das neue parkettierte Niveau, in das sinnreich unterschiedlich große, schräggestellte Klappen gesägt sind, Falltüren für kleine Tiere, aber auch für unseren Blick in die untere Ebene, die ebenfalls mit Parkett ausgelegt ist. Dort aber sind die Riemen gewaltsam aufgerissen, als hätte sie eine unterirdische Kraft gesprengt und nach oben gedrückt. Sichtbar wird jetzt ein Abgrund, in seiner schwarzen Tiefe nicht messbar, grundlos.

Der doppelte Boden - ein Hilfsmittel bei allerlei Zauberei - wird hier zur körperlichen Erfahrung, nicht ohne die Zeichen einer gewissen Brutalität. Woran immer die Person, die diesen Ort betritt, sich zu orientieren versucht, wird sie sich nicht einem ‚interesselosen Wohlgefallen' überlassen können. Die ästhetische Wahrnehmung bleibt nicht unberührt von einer tieferen Einsicht, die als Metapher zum doppelten Boden gehört: Lücken durch die man woanders hin denken muß, sagt die Künstlerin. Caspar David Friedrich hat sich mit seinem eisigen Bild der ‚Gescheiterten Hoffnung' auf ähnlichem Terrain bewegt.

Projektdetails:
_Notiz zum Parkett #2

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